AMICATION

Medien



Amication – Themensammlung

Amication – Themensammlung

100 ausgewählte Aspekte amicativer Thematik
 – ein Lesebuch

   Taschenbuch, Ausgabe 2004, 298 Seiten, € 15,80

Die Themensammlung ist ein Reader zur Amication mit 100 Texten über Theorie, Praxis, Erleben, Kinder, politische Emanzipation des Kindes, Wahlrecht für Kinder, Schule, Erwachsene, Selbstliebe, Partnerschaft, Ethik, Emotionalität. Jeder Aspekt ist mit einer signifikanten Überschrift versehen und durch ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis leicht zu finden. Die Themensammlung gibt zu einzelnen Aspekten konzentriert Auskunft – schneller als dies ein breit angelegtes Buch leisten kann.
Dies ist zugleich ein Lesebuch für alle, die sich hin und wieder mit der amicativen Thematik beschäftigen wollen.

Hinweis:
"Amication – Themensammlung" ist die erweiterte Neuausgabe von "Unterstützen statt erziehen – Themensammlung"


Blick ins Buch:


25. Das Wiederfinden der Selbstliebe

Das Vertrauen in sich selbst, die Selbstverantwortung, die Selbstliebe, die soziale Kraft: Konstruktive Potenzen des Menschen werden durch die Amication nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene wieder denkbar und verfügbar. Der Erwachsene wird auch stets direkt angesprochen, und wenn er sich in amicativen Positionen wiederfindet, dann setzt er den amicativen Impuls für das Kind um, das ihm zuallererst anvertraut ist: für sich selbst. Er beginnt, die Verhexung der eigenen Kindheit aufzuheben, wieder an sich zu glauben und sich zu lieben.
Wenn man amicativen Überlegungen zustimmt, bedeutet das jedoch noch nicht, dass man sich sofort so akzeptieren und lieben kann, wie man gerade ist. Es geht erst einmal um eine neue Perspektive, um eine Ablösung der alten Sicht. Wie kommt man dann aber weg vom »Ich kann mich nicht leiden« und vom »Ich kann dies oder jenes an mir nicht leiden«, vom »Ich muss besser werden« und vom »Ich muss an mir arbeiten«? Wie setzt man die amicative Erkenntnis um? Wie fühlt man wieder, dass man sich mag? Wie macht man es, sich zu lieben?
Es ist nicht zu »machen«. Beim einen ruht dieses Wissen unter der Oberfläche, und wenn man davon hört, wird es lebendig: »Ja, so fühle ich auch, eigentlich schon lange, nur fehlte mir der Mut, aber jetzt bin ich mir sicher, ich werde den Glauben an mich nie mehr verlieren.« Der Impuls reicht aus, um die Selbstliebe, die ja nicht wirklich verloren geht, wieder zu fühlen.
Bei vielen anderen aber ist es nur eine schöne Idee, und sie sehen keine Möglichkeit, dass ein solches konstruktives Denken auch für sie eine gefühlsmäßige Wirklichkeit werden kann. »Wie soll ich denn dahin kommen?« Die erlernten Unterlegenheitsgefühle, das »Ich bin ja doch nichts wert«, der ganze Jammer der verloren geglaubten Selbstliebe steigen auf, man wird traurig, vielleicht auch ärgerlich über diese »Sprüche«.
Die Antwort ist stets so: »Sieh erst einmal, ob diese Auffassungen etwas für Dich sind. Willst Du so über Dich denken? Wirklich?« Wer der Selbstliebe schon von der Idee her nicht wirklich zustimmt oder ihr skeptisch gegenübersteht, für den gibt es kaum Rat. Wer aber wirklich zustimmt (was ja niemand muss), nur nicht weiß, wie er das hinbekommen soll, für den gilt: »Lass Dich in Ruhe«. Doch er kann sich ja nicht in Ruhe lassen. »Vertrau Dir doch einfach, dass Du es eines Tages schaffst«. Doch er kann sich nicht vertrauen.
Es ist wie bei einem ungeduldigen und sich misstrauenden Kind. Was ist dabei? »Du kannst so ungeduldig sein und so misstrauisch, wie Du willst. Das ist Dein Sinn. Das ist nicht gut. Das ist nicht schlecht. Es ist. Es ist in Dir, ein Teil von Dir.« Aber Ungeduld und Misstrauen gegen sich selbst werden ja nicht gemocht und sollen verschwinden.
Dann ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Idee des Bösen endgültig nicht mehr gilt, niemals, auch nicht in Bezug auf sich selbst, auch nicht in Bezug auf irgendwelche Teile von sich. »Deine Ungeduld und Dein Misstrauen gegen Dich sind Teile von Dir. Sie sind nicht böse. Hast Du das Recht, sie zu diskriminieren? Was meinst Du, was sie davon halten, wenn Du sie beschimpfst? Wenn Du sie bekämpfst? Wenn Du sie verbessern, erziehen willst? Amication ist unteilbar. Das Achten gilt auch Deinen Teilen gegenüber, auch den Teilen, die Du überhaupt nicht leiden kannst.«  »Wie bitte?«
  »Die Achtung vor der Inneren Welt gilt jedem Phänomen gegenüber, auch den Dingen, die in Dir sind. Deine Ungeduld und Dein Misstrauen – sie warten auf Dich. Alles von Dir, Dein ganzes Universum (dazu gehören auch diese ärgerlichen Teile in Dir) wartet auf Deine Akzeptanz, wenn Du schon keine Liebe für sie aufbringen kannst.«
»Aber ich kann das alles an mir nicht leiden. Muss ich das jetzt können?«
»Natürlich nicht. Deine Gefühle werden doch auch nicht verraten. Aber: Ist es wirklich nötig, das, was Du an Dir nicht leiden kannst, auch noch obendrein zu missachten, als unsinnig zu diskriminieren, als verbesserungsnotwendig abzustempeln? Was zwingt Dich denn, diese Pädagogik gegen Deine eigene Innere Welt zu machen? Schön, Du magst Deine Ungeduld und Dein Misstrauen nicht. Aber lass sie gelten! Auch wenn Du sie nicht magst. Sie sind sinnvoll! Nichts ist sinnlos. Sie sind in Dir gewachsen. Wenn Du sie rausreißt, verblutest Du. Sie sind ein Teil von Dir.« »Dann gehen sie nie.«
  »Vielleicht gehen sie nie und bleiben ein Leben lang bei Dir. Aber wenn Du sie bekämpfst und beschimpfst, dann gehen sie erst recht nicht. Wenn Du auch ihnen gegenüber die amicative Idee lebst und sie achtest, dann hast Du eine Chance – keine Garantie –, dass diese unangenehmen Gefühle in Dir, die ihrem Sinn folgen, zu ihrer Zeit gehen.«
  Es geht also darum, nicht doch noch irgendwo auf der Welt eine Ecke für das Böse zu reservieren, diesmal: in sich selbst. Von der Idee her. Wer erkannt hat, dass er sich selbst tatsächlich und ohne Einschränkung lieben könnte, wie immer er ist, aber dies nicht hinbekommt – für den bleiben zwar Schmerz, Ärger, Ungeduld und Misstrauen. Aber Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht gehen. Wer es nicht schafft, sich zu lieben – obwohl er diese Idee gut findet und es sehnlichst möchte –, der schafft es nicht. Das tut weh, natürlich. Aber es ist gänzlich überflüssig, sich dies auch noch zum Vorwurf zu machen. Das ist so etwas wie der erste Schritt. Wer ihn nicht schafft, muss sich auch dies wieder nicht zum Vorwurf machen. Wer aber auch das nicht schafft, muss sich auch das wieder nicht zum Vorwurf machen. Und so fort. Selbstakzeptanz und Selbstliebe sind letztlich immer möglich.
  Neben diesem Grundsätzlichen gibt es auch andere Hilfen.
  Zunächst: Das Erinnern. Wenn man in eine solche Fallgrube gefallen ist (man kann sich nicht leiden, man gibt dem anderen die Schuld, man demütigt die Kinder), kommt stets der Moment des Innehaltens. Früher warteten dort die Schuldgefühle und das schlechte Gewissen. Doch das Innehalten – vielleicht nach einer Minute, einer Stunde, einem Tag – öffnet auch dem Erinnern die Tore: dass es die amicative Idee gibt, dass solche Bücher geschrieben wurden, dass es solche Menschen gibt. Die Verbindung kann wieder hergestellt werden. »Niemand macht Dir einen Vorwurf, dass Du in eine Fallgrube gefallen bist. Das Herausklettern beginnt, wenn Du Dich erinnerst, an all diese Dinge.« Vielleicht mit dem Stoßseufzer: »Ach, eigentlich bin ich ja doch ganz o.k., trotz allem«.
  Und: Die amicative Welt existiert, hier und heute. Man kann diese Bücher lesen, diese Menschen kennen lernen. Man kann Kontakt herstellen. Gemeinsames Erleben mit anderen amicativen Menschen ist hilfreich, und die gemeinsamen neuen Erfahrungen bringen mehr und mehr Sicherheit.  Das Wichtigste aber: »Kümmere Dich ein bisschen mehr um Dich, schau hin, ob Dir etwas gut tut oder nicht, und tue Dir immer mal wieder etwas Gutes. Jeden Tag eine gute Tat – lass dieses Motto Dir gegenüber gelten, denn Du bist Dir anvertraut. Und wenn Du auf Dich acht gibst, wächst die Selbstliebe von allein.«

26. Fehler überwinden

Wenn jemand einen Fehler macht, so bedeutet das, dass er nicht so gut war, wie er aber hätte sein können oder sollen. Dann tauchen Rechtfertigungsüberlegungen auf. Eingeständnisse werden gemacht. Die dunkle Wolke Schuldgefühl zieht auf. Und fordernd scheint der helle Stern Gutsein, hinter dem man endlos herläuft. Doch in der Amication ist alles anders:
Ein jeder ist für sich selbst verantwortlich. Für sein Leben, dieses sein Leben, vom Anfang bis Ende, ganz und gar. Wenn man etwas tut, dann aus Verantwortung für sich, aus seinem jeweiligen Sosein. So, wie man gerade ist, denkt, fühlt – handelt man. Im Moment des Tuns, in der aktuellen Gegenwart, gilt jeder einzelne Sinn. Das ist nicht richtig, das ist nicht falsch. Es ist.
Wenn dann jemand dazu sagt, das sei ein Fehler – dann redet er eine fremde Sprache. Er schaut auf Einsichten, Normen, Daten, die er kennt, und daran misst er den anderen. Das ist dann für ihn wichtig – aber mit dem anderen hat das nichts zu tun.
  In der Amication achtet ein jeder seine Gegenwart, sich, seinen aktuellen Sinn so sehr, dass er ihn – diesen Sinn, der in ihm lebt – nicht im Nachhinein eines Fehlers bezichtigt. Der Sinn, der einen jeden handeln lässt, ist dann, wenn er geschieht, fehlerlos. Besser: Jenseits von richtig und falsch, weder richtig noch falsch. Er ist.
  Man kommt nicht auf die Idee, seiner Vergangenheit Vorhaltungen zu machen. »Hättest Du aber doch ...« – dies ist fremd. »Hab ich aber nicht« ist die Antwort. Ruhig, kraftvoll, überzeugt. »Hab ich aber nicht.«
In der Amication gilt also: Niemand macht wirklich (existentiell gesehen) einen Fehler – man kann gar keinen machen. So, wie man auch nichts richtig machen kann. Was jemand macht, findet statt, sinnvoll, verantwortet vor sich: »Ich bin, ich lebe, und bin nicht an objektiven Kriterien zu messen.« Wohl an subjektiven: an den eigenen, an den fremden. Aber diese haben keine Macht über die Vergangenheit, über die Achtung vor sich selbst. »Du magst mich finden wie Du willst – ich aber bin«.
Ein jeder kann jetzt anders handeln als eben. Jederzeit. Aber das Eben wird dadurch nicht zum Fehler. Und das Jetzt nicht zum Richtigen. Man kann sich verändern ohne den Hintergrund und die Welt, die um den »Fehler« herum sind.

27. Amication missverstehen

  Ein charakteristisches Merkmal amicativer Lebensweise besteht darin, dass Schuldzuweisungen und moralisierende Vorwürfe nicht vorkommen. Denn wie kann einer dem anderen die Schuld geben, wenn jeder nur für sich spricht und wenn jeder stets sein Bestes tut? Beziehungen, die frei sind von den Tönen des »Ich habe mehr recht als Du« sind im Vergleich zu den Beziehungen, die mit solchen Tönen einhergehen, entspannter und stressfreier. Diese besondere, vom Moralisieren befreite Atmosphäre ist bei amicativen Menschen wahrzunehmen.
Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es von dieser amicativen Umgangsform Abweichungen. Aber Achtung: Jede Abweichung, die passiert, kann pädagogisch sein, muss es aber nicht. Sie kann – trotz Abweichung – immer noch amicative Substanz haben.
Wenn Moralisieren auftaucht, dann kann eine innere Zustimmung zum Moralisieren dabeisein. Nach dem Motto: »Ich bin mein eigener Chef und ich kann alles tun, was ich will, nichts ist richtig, nichts ist falsch.« Wer so hinter seinem Moralisieren steht, kann den Kontakt zu den befreienden Aussagen von Amication verloren haben. Der eigentlich kraftvolle und konstruktive psychische Rundumschlag »Endlich kann ich alles tun, was ich will, denn ich bin o.k.« kann sehr missverstanden werden.
Wenn man auf amicativem Boden stehen und amicative Aussagen nicht für eigene Zwecke umdeuten will, dann kann man schon alles tun, was man will – jedoch nur im Geist von Amication. Die Befreiung von alten Zwängen geschieht nicht in den luftleeren Raum hinein, sondern in die Richtung, die Amication aufweist. Es wird immer wieder missverstanden, dass Amication dazu legitimiere, nun endlich alles tun zu können, was man will – ohne Bezug zur Gesamtidee. Viele Zeitgenossen nehmen Amication für einen Ausstieg aus ihren Zwängen, nicht jedoch für einen Umstieg in die amicative Lebensart.
Aussteiger finden nichts dabei, wenn sie moralisieren. »Kann ich ja tun«. Und sie sind damit im Grunde noch in der alten Welt. Umsteiger finden schon etwas dabei, wenn sie moralisieren: sie haben ein Gefühl das Bedauerns. Keine neuen Selbstzweifel, kein erschrecktes Selbstermahnen. Einfach Bedauern. Mit dem Impuls, sich durch das Moralisieren nicht irre machen zu lassen auf dem Weg, das Moralisieren vielleicht doch eines Tages verlassen zu können.
Dieser Impuls geht nicht in Richtung Selbsterziehung (ich muss an mir arbeiten, damit ich mit dem Moralisieren aufhöre). Es ist der Kontakt zu der Gesamtphilosophie, eine Ehrlichkeit sich selbst gegenüber: Dass mir etwas unterläuft, was ich eigentlich nicht gut finde, was ich an mir aber nicht wegerziehen muss, was damit aber auch nicht willkommen geheißen wird. Es ist ein feines amicatives Gefühl: Etwas an sich bedauern zu können, ohne sich deswegen weniger zu mögen. »Auch mein Moralisieren gehört zu mir. Aber die Überzeugung, dass es ohne Moralisieren schöner ist und der Wunsch danach, ist ebenfalls ein Teil von mir.«
Man kann in seiner Praxis also überhaupt nicht amicativ sein, obwohl es so aussieht. Zum anderen kann die eigene Praxis überhaupt nicht amicativ aussehen, obwohl man amicativ ist. Das Bekenntnis zur Amication ist wenig. Es kommt darauf an, in Kontakt zu ihrem Sinn zu sein, auch wenn man etwas (immer noch, immer wieder) tut, das pädagogisch aussieht. Dann ist auch Moralisieren kein wirkliches Problem.


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