AMICATION

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Schule mit menschlichem Antlitz

Schule mit menschlichem Antlitz

Realität und Vision

   Taschenbuch, Ausgabe 2001, 152 Seiten, € 9,80

Hier wird in großer Breite und Tiefe die amicative Position zur Schule vorgestellt. Die Realität der Kinder, der Eltern und der Lehrer im Schulalltag aus amicativer Sicht. Wo liegt die wirkliche Macht der Eltern? Wissen Lehrer eigentlich, was sie tun? Welchem Leid sind die Kinder in der Schule ausgesetzt? Was läßt sich gegen die Schultraumatisierung tun? Hält die Schule vor den Menschenrechten stand? Wie kann eine Schule der Zukunft aussehen? Was kann ein Lehrer heute tun, damit die Schule kinderfreundlicher wird? Auf diese Fragen gibt es unkonventionelle und überzeugende Antworten, mit vielen praktischen Tips und Denkanstößen für Eltern und Lehrer.

Vorsicht: Das Buch läßt niemanden unberührt, es macht betroffen und ist keine leichte Kost.


Ausführliche Buchbeschreibung

In einem weitgefaßten Spektrum fächert Hubertus von Schoenebeck die vergessene und dunkle Seite der Schule auf: ihren kulturellen Imperialismus und lehrplangläubigen Fanatismus, die Entmündigung und Komplizenschaft der Eltern, die Entpersönlichung und Mutlosigkeit der Lehrer, die Wertlosigkeit und Gefährlichkeit der heutigen Schule für die Gesellschaft – und das unsägliche Leid der Kinder. Er zeigt, wie die Schule die Menschenrechte beugt, daß Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, Unantastbarkeit der Würde für Schulkinder nicht gelten. Er hält den Lehrerinnen und Lehrern einen Spiegel vor und läßt sie erkennen, daß sie Kindern dasselbe Unrecht antun, das einst ihnen geschah. Und er fragt: »Ist das alles Wiederholungszwang, Wahnsinn, Schicksal?«

Die radikal und ungeschminkt vorgetragene Analyse und Kritik ist dabei stets achtungsvoll. Von Schoenebeck erhebt keine Vorwürfe und klagt nicht an. Selbst ein Jahr lang Lehrer gewesen, weiß er, daß mit Schuldzuweisungen und aggressiver Polemik niemand erreicht wird. Er lädt vielmehr ein: zum Innehalten, Überdenken, Nachsinnen. Seine Intention ist es, nach Donnerwetter und reinigendem Gewitter neue Wege zu erkennen. Wege, mit denen sich das Leid aller Betroffenen – der Kinder, der Eltern und der Lehrer – verringern läßt. Hier sprüht er vor Ideen, öffnet er Perspektiven und ermutigt zu Vision und Traum. Er kreiert das »Schoolwatch-Projekt«, das »Lernzentrum«, den »Street-Teacher« und das »Sommer-Seminar«. Er zeigt Eltern, wo ihre wirkliche Macht im Umgang mit der Schule liegt und wie sie sich vom Elternzwang der Schule emanzipieren können. Er hilft dem Lehrer, mit einem veränderten Selbstverständnis zu neuer Selbstakzeptanz und zu mehr ihn selbst entlastender Kinderfreundlichkeit zu finden. Seine Schultagebuchauszüge dokumentieren seinen Realismus, seine vielen konkreten Vorschläge für mehr Menschlichkeit im Schulalltag offenbaren seinen Glauben an die konstruktive Veränderung der Schule. Seine Ausführungen über »Schule und Menschenrechte« und »Lernen ohne Sollen« weisen ihn als brillanten Kinderrechtler aus. Und seine poetischen Bilder öffnen das Herz.

»Schule mit menschlichem Antlitz« ist ein längst überfälliges Buch, geschrieben aus fast fünfzigjähriger Erfahrung mit der Thematik. In der Person des Autors ist der Bogen weit gespannt: vom Schulkind über den Pädagogikstudenten zum Lehrer, postpädagogischen Forscher, Dozenten in der Erwachsenenbildung seit 20 Jahren, Referenten an Hochschulen im In- und Ausland, Vater von zwei heute erwachsenen Kindern, bis hin zur erneuten Vaterschaft zweier Kleinkinder. Hubertus von Schoenebeck ist der erste renommierte Experte, der die Schultraumatisierung der Person und der Gesellschaft erkennt und benennt und der gleichzeitig erste Impulse zu ihrer Heilung gibt.

»Schule mit menschlichem Antlitz« ist nicht zuletzt auch ein therapeutisches Buch zur Selbstfindung jedes großgewordenen Schulkindes – denn es gilt, Wert und Würde neu zu entdecken, die nach dem sechsten Geburtstag im Gestrüpp der Erwachsenenwelt verlorengingen. Es ist ein wahrhaftiges Buch, verbindlich im Ton, sachlich und argumentativ und nah und persönlich. Nicht für den Augenblick geschrieben, ein Buch zum Hineinlesen, Weglegen, erneutem Aufschlagen – ein revolutionäres Buch, das anrührt und erschüttert und von der Morgenröte einer postschulischen Epoche kündet. Vor allem aber ein hilfreiches Buch für alle, die sich hier und jetzt vom Leiden an der Schule befreien, den Kindern beistehen und ihre Freude am Lernen und Lehren wiederfinden möchten.


Blick ins Buch:


Inhalt

Vorwort

  1.  Kinder gehen in die Schule
  2.  Die wirkliche Macht der Eltern
  3.  »Mit welchem Recht ...?«
  4.  Dem Leid begegnen
  5.  Schoolwatch
  6.  Von Schule und Menschenrechten
7.  Das Lernen ohne Sollen
  8.  Impulse für die Schule der Zukunft
9.  Träume in Kinderfreundlichkeit
  10.Menschlichkeit im Klassenzimmer

  Anhang: Einführung in die Amication

  

Die konstruktive Postmoderne ist gekennzeichnet von einer grundlegenden Gleichwertigkeit, in der sich alle Phänomene in ihrer Vielfalt respektvoll begegnen. Von daher erscheint es selbstverständlich, dass Kinder – den Erwachsenen gleichwertig – vollwertige Menschen von Anfang an sind und nicht erst dazu gemacht werden müssen – auch nicht von der Schule. Der Autor geht nun der Frage nach, welche Konsequenzen sich aus einer solchen postpäd­agogischen Sichtweise für die Schule ergeben. Er sieht die Gültigkeit der Menschenrechte auch für Schulkinder und gelangt zu faszinierenden Erkenntnissen über die Schule der Zukunft.

  Für die Schule hier und heute überträgt er den Impuls der Postmoderne auf den Schulalltag. Er macht viele in die Tiefe gehende und praktikable Vorschläge für Eltern, wie sie im Umgang mit der Schule eigenen Stress abbauen und das Leid ihrer Kinder verringern und heilen können. Die Lehrer lädt er zu einem neuartigen Selbstverständnis ein, das sie aus dem eingeschliffenen Rollenverhalten löst und ihnen bei ihrer aufreibenden Arbeit hilft. So finden sie Mut und Kraft, mehr Kinderfreundlichkeit im Klassenzimmer zu realisieren, als eigentlich erlaubt ist: In der »Schule mit menschlichem Antlitz« treffen sich Realität und Vision.


1. Kinder gehen in die Schule

Dass Kinder durch die Schule in ihrem Herzen tief gekränkt werden und dass sie die Schule nach 10 langen finsteren Jahren traumatisiert verlassen, wird selten wirklich thematisiert. Die großen und kleinen Katastrophen, die alle Schulkinder erleiden, werden rückblickend immer humorvoll oder sarkastisch oder resignativ erzählt, und es heißt dann: »Schule ist eben so.« Ich sehe aber das Leid der Kinder, das die Schule ihnen zufügt, als das, was es ist, wenn es geschieht: als konkret erlebtes Leid. Und ich erkenne es in seiner Brisanz und Tragweite für die einzelne Person und die Gesellschaft.

  Ich habe als Kind in der eigenen Schulzeit die völlige Sprachlosigkeit über dieses Leid erlebt. Niemand redete über diese Dinge, wir Kinder nicht, die Eltern nicht, die Lehrer nicht. Als ich später selbst Lehrer war, hatte sich daran nichts geändert. Das Leid, das die Schule den Kindern zufügt, war immer noch kein Thema. Und auch ich war sprachlos – allerdings nicht deswegen, weil ich, wie es sich gehörte, auch über das Leid hinwegsah, sondern weil mir die Allgegenwart und Monstrosität des Leids, das vor unser aller Augen geschah, den Atem nahm, und weil mir die Tabuisierung des Leids die Sinne benebelte. Ich war sprachlos angesichts all des Leids, das ich aus der Perspektive eines Erwachsenen sah, der als Person aufmerksam in der Schule handelt. Nur selten konnte ich das Leid, das um mich herum in unzähligen Nuancen wucherte, durch persönliche Anteilnahme und Ansprache verringern. Und wie vielen jungen Menschen habe ich selbst Leid zugefügt? Jeder Lehrer glaubt, dass durch ihn kein Leid kommt, oder besser: kein wirkliches, kein unverdientes Leid. Und auch ich hatte den Eindruck, dass sich die meisten Kinder bei mir wohl fühlen. Erst als ich 30 Jahre nach meiner eigenen Schulzeit und viele Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Schuldienst von dem Leid erfuhr, das einem Klassenkameraden meines Sohnes zugefügt wurde, und als ich dies auf einem Elternabend unbeirrt thematisierte, wich der Bann von mir, über »diese Dinge« nicht reden zu können und sie als »Schule ist eben so« abzutun. Welche Dinge aber sind »diese Dinge«?

  Ich traf mich nach diesem Elternabend mit einigen Eltern fünf- oder sechsmal, wir hatten einen guten Austausch, und die Thematik »Leid in der Schule« ließ sich jetzt neu angehen. Wir hatten schließlich hierüber Gespräche mit Lehrern und dem Schulleiter, aber von der Lehrerseite fehlte der Schwung und die Sensibilität für das ganze Thema. An einem Abend überlegte ich, wie man von der Kopflastigkeit der Leiddiskussion hin zur Unmittelbarkeit der Leiderfahrung kommen könnte. Und plötzlich fuhr ich die neben mir sitzende Lehrerin unvermittelt laut und heftig an, sie solle sich erst einmal ordentlich hinsetzen, ehe sie mit mir redet – in genau der Tonlage, Mimik und Gestik, mit der ein Lehrer auf ein unaufmerksames Kind losgeht (ich kann das, denn ich war selbst Lehrer). Und erst diese emotionale und dem Augenblick entsprungene Aktion rüttelte diese Erwachsene auf: Sie erlebte, was Schimpfen für eine herabsetzende Wucht hat und welches Leid es verursacht.

  Aber nur sie erlebte es, sie war betroffen, wurde nachdenklich, nahm mir dieses Mittel zum Zweck nicht übel und verstand. Die anderen Lehrer fanden meine Aktion nur absurd, und auch meine Erklärung, dass ich die tägliche Demütigung erfahrbar machen wollte, brachte kein Verstehen. Unser Plan, die Kinder während einer Unterrichtsstunde zu besuchen und mit ihnen über »Leid in der Schule« ins Gespräch zu kommen, stieß auf hinhaltenden Widerstand. Wir sollten erklären, was wir denn da wollten, was dabei herauskommen solle, wie wir die Kinder 45 Minuten motivieren und disziplinieren würden, warum kein Lehrer dabei sein solle, usw. Die großen Ferien kamen dazwischen, und dann verlief unser Plan im Sande. Aber ich habe in diesen Abenden gelernt, über das Leid der Schulkinder nachzudenken und es zu erkennen. Und wenn dies gelungen ist, kommen erste Gedanken zu seiner Überwindung von selbst.


7. Das Lernen ohne Sollen

»Wo soll das überhaupt hinführen? Was ist die Zukunft einer Gesellschaft ohne Schule?« Gegenfrage: »Was geschieht, wenn Menschen über ihr Denken selbst bestimmen? Was geschieht, wenn Freiheit an die Stelle von Bevormundung, Unterdrückung, Diktatur tritt?« Nun, das ist im einzelnen nicht vorauszusehen. Und wohl erst recht nicht, wenn dieser Gedanke nicht auf gesell­schaftliche Strukturen wie Staatsform, Religion, Kolonialismus, Sklaverei oder ähnliches zielt, sondern auf Kinder und ihre Lebensführung. Was geschieht, wenn Kinder nicht in einem pädagogischen Weltbild sondern in selbstverantworteter geistiger Freiheit groß werden? Wenn eine Pflichtschule obsolet ist, wenn Kindern ihr Lernen gehört und sie ihr Weltverständnis in eigener Regie entwickeln? Welche Werte werden dann gelten? Wie wird die Welt dann aussehen?

  Die Fantasie, die zur Beantwortung dieser Fragen aufgerufen ist, ist gefangen in langer Tradition, und negative Antworten sind sofort abrufbar. Wieso eigentlich? Warum drängen sich die Bilder von Chaos, Ausbeutung, Willkür, vom Untergang der Zivilisation auf, wenn Kinder mit Freiheit assoziiert werden, wenn dieser Grundwert unserer Kultur auf die Kinder gedacht wird?

Das Menschenbild vom Kind, das den negativen Antworten zugrunde liegt, ist ein sehr misstrauisches und pessimistisches: Ohne Schule, das heißt ohne die gezielte Intervention der Erwachsenen, gelingen Kinder, Zivilisation und Kultur nicht. Mein Menschenbild vom Kind ist jedoch konstruktiv. Für mich passen Kinder und Freiheit nicht nur gut zusammen, sondern Freiheit gelingt nur dann wirklich – und wirklich heißt: in steter Beziehung und Balance zur Freiheit des anderen und als Grundlage einer friedlichen Gesellschaft –, wenn Kinder sie in ihrem Kinderleben erfahren, wenn sie mit und in den Kindern groß wird. Wo führt das also hin, wenn Kinder über ihr Denken selbst bestimmen? In eine konstruktive freie Gesellschaft – was immer sie kennzeichnen wird. Das ist die große Antwort, die all den Fragen zunächst entgegenzuhalten ist. Dieser Denkbogen ist für mich nicht nur in der gesellschaftlichen Frage nach Diktatur oder Demokratie gültig, sondern auch in der Kinderfrage und der Schulfrage.

Wenn dann in einhundert Jahren tatsächlich eine Welt bevorzugt werden sollte, die zum Beispiel kaum mehr Mathematik kennt, wenn dann tatsächlich keine Brücke mehr gebaut werden könnte, wenn dann die Menschen auf Booten über den Rhein und die Elbe gelangen müssten: Wenn die Menschen im Jahr 2100 dies so wollen, frei entschieden haben, nachdem sie den Nutzen der Mathematik mit ihrem Schaden in Beziehung gesetzt haben und nachdem sie sich gegen die geistige Versklavung ihrer Kinder durch 10 lange Schuljahre Mathematikunterricht entschieden haben – ist das zu verurteilen, ist die Welt dann schlechter, bricht dann das Chaos aus? Ich kann das nicht erkennen. Ich erkenne, dass Freiheit mehr Lebensqualität in sich trägt als jegliche Sklaverei. Ich erkenne, dass Menschen, die über ihr Schicksal selbst bestimmen, glücklicher sind als die, die gezwungen werden. Und zwar auch glücklicher als die, die zu ihrem Glück gezwungen werden. Und selbstverständlich auch glücklicher als die, die zu ihrem Glück mit Mathematikunterricht oder Deutsch-, Englisch-, Französisch-, Biologie-, Sport-, Physik-, Geographie-, Technik-, Religionsunterricht und allen sonstigen Unterrichten noch gezwungen werden. Ich sehe die Harmonie dieser Menschen und ihren Frieden mit sich, den anderen und der Welt.

Menschen lernen immer, denn Menschen können nicht nicht lernen. Die Frage ist nicht die, ob Lernen stattfindet oder nicht – Lernen findet immer statt! Die Frage ist, ob ein Kind das lernen muss, was die Erwachsenen vorgeben, oder ob es das lernt, was es selbst zu lernen entscheidet – ob Lernen mit oder ohne Zwang stattfindet. Soll ein Kind lernen? Das lehne ich als unzulässigen Eingriff in die innere Freiheit eines anderen Menschen ohne Wenn und Aber ab. Ich möchte keine Zivilisation und Kultur, die auf der geistigen Bevormundung, Unterdrückung und Versklavung der eigenen Kinder beruht – und nichts anderes sehe im Lernen mit Zwang. Wer soll entscheiden über das, was gelernt wird, individuell und gesellschaftlich? Das Lernen gehört demjenigen, der lernt – nicht anderen. Ich will keine Marionetten!

Auch mir ist es wichtig, mein Wissen von der Welt weiterzugeben. Ich bin für eine kulturelle Tradierung. Aber nicht als kulturellen Imperialismus wie in Afrika oder bei den Indianern. Als Angebot, als Kommunikation von Gleich zu Gleich. Vielleicht am Anfang schwer zu realisieren, aber nicht unmöglich. Bei jedem Auslandsurlaub kann man erfahren, dass so etwas selbstverständlich gelingt, auch in Afrika oder am Ende der Welt. Von sich, seinem Wissen, seinen Werten, seinen Gefühlen – in gegenseitiger Achtung voreinander – berichten, darüber ins Gespräch kommen, Geben und Nehmen. Ich will, dass jungen Menschen die Welt – das Erwachsenenwissen von der Welt – nicht oktroyiert wird, sondern dass es ihnen vorgestellt und anvertraut wird: zur eigenen Bewertung. Die Kinder entscheiden selbst, was sie übernehmen und was nicht.


9. Träume in Kinderfreundlichkeit

Still und effektiv

Sie können sich überlegen, wo Sie im laufenden Unterricht noch mehr Kinderfreundlichkeit unterbringen können. Es lässt sich viel mehr heimlich und auf Schleichwegen davon ins Klassenzimmer transportieren, als Sie auf den ersten Blick vermuten. Sie können viele Lasten, die den Kindern aufgebürdet sind, verringern. Finden Sie sie! Viele stehen in den geschriebenen und ungeschriebenen Schulordnungen und sind Steine des Mosaiks, das die Atmosphäre einer Schule ausmacht. Sie können auch »das System« immer wieder austricksen, das macht durchaus Spaß. Was lässt sich tun?

Warum müssen die Kinder aufstehen, wenn Sie in die Klasse kommen? Warum dürfen die Kinder ihre Jacken nicht mit zu ihrem Platz nehmen, wenn es die letzte Stunde ist? Warum geben Sie in einem Nebenfach eigentlich eine Fünf? Niemand zwingt Sie dazu. Was hindert Sie, in der Ver­setzungskonferenz für ein Kind zu stimmen, indem Sie die Mathenote auf eine Vier verbiegen? Warum geben Sie jedes mal Hausaufgaben auf? Weshalb lassen Sie bei schönem Wetter, Kirmes oder Schnee die letzte Stunde nicht einfach einmal ausfallen? Was hindert Sie, nach der letzten Stunde die Stühle der Kinder selbst auf die Tische zu stellen? Sie können sich dabei einige Minuten entspannen, die Stunde Revue passieren lassen und sich dabei von den Kindern helfen lassen, die das wirklich wollen. Warum gehen Sie bei schönem Wetter mit der Klasse nicht nach draußen, jeder trägt seinen Stuhl, und sie bilden einen Doppelkreis auf dem Hof? Warum kommentieren Sie nicht einfach mit »O.k.«, wenn jemand etwas vergessen hat oder so tut als ob? Was spricht dagegen, in der Regenpause einen Kassettenrecorder dabeizuhaben und die Lieblingsmusik der Kinder zu spielen? Warum muss eigentlich jedes mal aufgeräumt werden – »vergessen« Sie doch einfach einmal diese Anordnung. In der großen Pause ist es im Lehrerzimmer stickig, verräuchert und ungemütlich – was spricht dagegen, dass Sie Ihr Brot auf dem Hof essen, mit Kindern ins Gespräch kommen und frische Luft und gute Laune tanken? Es kommt bei allem darauf an, den vielen »Das geht nicht« und »Wo soll das hinführen?« und »Wie komm ich mir da vor?« und »Ist doch unrealistisch« und »Wenn das rauskommt« und »Das fördert nur die Disziplinlosigkeit« und »Das kostet nur Zeit« und »Das bringt nichts« entgegenzutreten – still und effektiv. Aber auch so vorsichtig und mit Maß, dass Sie es in der nächsten Woche wieder tun können.

Risiken eingehen

Sie können auch offensiv werden und Risiken eingehen, um kinderfreundlich zu sein. Es ist immer wieder die eigene Angst, die einen Lehrer daran hindert, sich zu noch mehr Kinderfreundlichkeit vorzutrauen. Sie können es ja einfach mal darauf ankommen lassen, bis die erste Zurechtweisung wirklich kommt. Wenn es Ärger gibt, können Sie zurückstecken und wieder mehr heimlich wirken. Oder Sie werden im Konfliktfall offensiv und vertreten Ihren Standpunkt. Probieren Sie aus, wie weit Sie gehen können. Und überlegen Sie auch: Der Mut, unter den gegenwärtigen Umständen kinderfreundlich zu sein, kann andere Kollegen anstecken. Wenn Sie kämpfen und Risiken eingehen, können Sie andere vielleicht mitreißen oder auch langfristige Wirkungen erzielen. Wenn Sie zu schnell aufgeben, schreckt das die Zaghaften wieder ab.


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